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Wahlkrieg statt Schlafwagen

17.09.2009 19:58, M. Lenz, C. Salewski

BREITENFELDE. Während sich Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier umarmen, machen Peter Harry Carstensen und Ralf Stegner in Schleswig-Holstein vor, was ein echter Wahlkampf ist. Die Gräben zwischen den großen Parteien sind tief. Das spüren auch die Wähler.

Der Ort, an dem die Suche nach dem Kampf im Superwahljahr 2009 beginnen muss, ist das kleine Städtchen Mölln im Herzogtum Lauenburg. Auf dem neueren Teil des Möllner Friedhofs liegt Uwe Barschel begraben. Nadelbäume spenden Schatten, rote Begonien erheben sich aus den Bodendeckern, ein Rhododendron wölbt sich über einen schlichten Feldfindling, dem Grabstein des ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins. Es ist eine unauffällige und nüchterne Ruhestätte für den Politiker, der im Zentrum eines der größten politischen Skandale der Nachkriegsgeschichte stand. Der Name Barschel ist zu einem Symbol geworden für Politik in ihrer archaischen Form. Und im hohen Norden gilt noch immer: Hier wird hart um die Macht gekämpft und dabei sind fast alle Mittel recht.

Zuletzt stellte das der amtierende Ministerpräsident Peter Harry Carstensen unter Beweis, als er die SPD-Minister aus seinem Kabinett warf und per fingierter Vertrauensfrage vorgezogene Neuwahlen erzwang. Am 27. September wird nicht nur der Bundestag, sondern auch der Kieler Landtag neu gewählt. Doppelter Wahlkampf also zwischen Nord- und Ostsee. Dabei ist der Schleswig-Holsteinische Landtagswahlkampf der Gegenentwurf zum beschaulichen Bundestagswahlkampf aus dem Schlafwagen. Wenn das, was im Bund abläuft, Wahlkampf sein soll, dann herrscht im Norden Wahlkrieg.

Das Casino Royal in Elmshorn. Ein langgestreckter Saal getaucht in schummriges Licht. Tischreihen auf abgewetztem grünen Teppich. Etwa 1000 Menschen wollen den neuen Star der Union, Theodor zu Guttenberg sehen, den Carstensen sich als Verstärkung geholt hat. Die Luft ist muffig und biergeschwängert. Es ist die perfekte Atmosphäre für einen deftigen Wahlkampfauftritt. Carstensen weiß das zu nutzen: „Ich sag immer: in der Politik braucht man Augen und Ohren“, ruft er in den Saal. Und in Richtung seines Gegenspielers Ralf Stegner (SPD): „Manchmal ist das besser, wenn man sich von einem trennt.“ Einfache Sätze, gemünzt auf den politischen Gegner. Dann kommt zu Guttenberg und hält eine staatstragende Einführung in die politische Ökonomie der Krise. Er wirft mit Begriffen wie Tobin-Steuer oder Due-Dilligence-Prüfung um sich, ohne sie zu erklären. Dann sagt er: „Ich habe mir vorgenommen, in diesem Wahlkampf nicht einen Namen zu nennen, höchstens im Positiven.“ Was daran noch Wahlkampf ist, erklärt er nicht. Carstensen bleibt der Ausflug ins volkswirtschaftliche Proseminar erspart. Er ist da schon lange weg, unterwegs zu einem Volksfest bei Kiel.

„Ich feiere nach der Arbeit und nicht statt der Arbeit“, sagte kürzlich Ralf Stegner und warf Carstensen vor, zu viel mit dem Volk zu feiern. Im Land gilt Carstensen als trinkfester „König der Volksfeste“. Der konterte in Richtung SPD: “Wenn die Selters kriegen, singen die Trinklieder.” Es war eine weitere Spitze in der persönlichen Auseinandersetzung der beiden Spitzenkandidaten. Während Merkel und Steinmeier kein schlechtes Wort übereinander verlieren, pöbeln sich Carstensen und Stegner regelrecht an.

Der SPD-Linke Stegner gilt bei der CDU als „Kotzbrocken“ und „Roter Rambo“. „Mit der SPD konnte man zusammenarbeiten, mit Herrn Stegner nicht“, sagt Carstensen über seinen Kontrahenten. „Er war das Problem der Großen Koalition.“ Bei der SPD wiederum gilt der Ministerpräsident als “Dorfdepp”. Und als Lügner, seit er sagte die SPD hätte die umstrittenen Bonuszahlungen in Höhe von 2,9 Millionen Euro an den HSH-Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher stoppen können. Wo Stegner kann, zeichnet er von der CDU ein verächtliches Bild. „Stockkonservativ“ und „rückwärtsgewandt“ sei die Partei des Landwirtssohnes Carstensen. Solch feurige Attacken gibt es im Bund nicht.

Der Markt in der historischen Mitte der Hansestadt Lübeck. Etwa 1000 meist ältere Menschen stemmen sich gegen den frischen Wind. Rote Fahnen flattern. Ein paar Jubel-Jusos recken Pappschilder mit dem Schriftzug „Frank Walter Steinmeier“ in die Höhe. Franz Müntefering ist gekommen. Er hält seine Standard-Wahlkampfrede. Viel Geschichte der Sozialdemokratie, wenig Konfrontation. Zum Schluss sagt er: „Die Frage ist, ob man mit Mundwinkel runter die Leute überzeugen kann.“ Hinter ihm steht Ralf Stegner mit heruntergezogenen Mundwinkeln.

Stegner hatte zuvor noch erklärt: Dass er oft so finster gucke, liege daran, dass er so konzentriert zuhöre. Der SPD-Mann, dem ein nicht allzu sympathischer Ruf voraus eilt, hat immerhin die wenig volkstümliche Fliege abgelegt, und stillt jetzt mit offenem Kragen die Erwartungen an den wüsten Wahlkampf im Norden: In seiner Rede greift der 49-jährige immer wieder Carstensen an. Auch der Volksfest-Vorwurf ist einmal mehr dabei. Und zu dessen Koalitionsversprechen sagt er: „Schwarzgelb sind Wespen. Der Sommer ist vorbei, die Zeit der Wespen auch.“

Wer die völlig unterschiedlichen Schauspiele auf Bundes- und Landesbühne verstehen will, fragt am Besten die Zuschauer. Konstantin von Notz ist der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat der Grünen für den Bundestag. “Wenn ich Steinmeier und Merkel angucke, dann ist da kaum noch etwas kontrovers. Die haben sich in der Symbiose eingerichtet“, sagt er. Die Großen seien doch im Schlafwagen  unterwegs. Das Bild passt gut, denn der 37-Jährige Jurist besucht mit seinem Parteifreund Andreas Tietze gerade den Erlebnisbahnhof Schmilau bei Mölln. Tietze ist Listenkandidat für den Landtag. Die Fernseh-Debatte zwischen Merkel und Steinmeier sei unfassbar langweilig gewesen. Im Land sähe das anders aus:  „Ein TV-Duell zwischen Carstensen und Stegner, das wäre so etwas wie Ehen vor Gericht“, sagt der 47-Jährige und schiebt nach: „Die kochen doch innerlich.“ Von Notz erklärt: “Die Gräben in Schleswig-Holstein zwischen CDU und SPD sind auch historisch bedingt. Da gibt es schon tiefe Klüfte.” Es ist klar, was er damit meint.

Die Barschel-Affäre war so etwas wie die Urkatastrophe der schleswig-holsteinischen Politik. Seitdem ist das Verhältnis zwischen den großen Parteien vergiftet. Die Klüfte, die von Notz nennt, verlaufen zwischen CDU und SPD, und prägen die politische Kultur des Landes. Auf Barschel folgte der Rücktritt von Björn Engholm. Später schoss der noch immer unbekannte „Heide-Mörder“ die Ministerpräsidentin Simonis ab. In diese Geschichte fügt sich der jüngste Bruch der Großen Koalition nahtlos ein. Und bei ihrer Wahlschlacht wollen Stegner und Carstensen mit dieser Tradition erst Recht nicht brechen.

Auch in Mölln, dem Ort, in dem Uwe Barschel begraben liegt, findet der Wahlkampf ohne Samthandschuhe statt. „Bei uns wird auf der Sachebene heftig gestritten“, sagt Monika Brieger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Kreistag des Herzogtums Lauenburg. „Wir führen einen sehr aktiven Wahlkampf“, sagt die 50-jährige Krankenschwester. „Kuscheln werden Sie bei uns nicht finden.“

 

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