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Grenzenloser Durchblick in Leidingen

05.09.2009 23:39, Ulrike Linzer
Foto: Lu Yen RoloffFoto: Lu Yen Roloff

LEIDINGEN. Warum verläuft eine Bundesgrenze mitten durch ein kleines Dorf? Wie lebt es sich in einem Ort mit zwei Sprachen und zwei Nationen? Um das herauszufinden, ist die Wahlfahrt09 in den äußersten westlichen Zipfel von Deutschland gefahren, 30 Kilometer von Saarbrücken.

Von Ulrike Steinbach und Ulrike Linzer

In Leidingen wohnen auf der einen Seite 192 Deutsche, auf der anderen 28 Franzosen. Getrennt durch eine schmale Asphaltstraße, die zwei Namen hat: „Neutrale Straße“ und „Rue de la Frontière“. Um mehr zu erfahren über diese beiden Dörfer Deutsch-Leidingen und Französisch-Leiding, über die Grenze in dem Dorf, wie die Menschen hier ticken und wie sie wählen, verabreden wir uns zu einem Spaziergang mit Alfred Gulden und Wolfgang Schmitt.

Gulden ist Filmemacher aus der Region. Für seinen Film „Grenzfall Leidingen“ bekam er 1983 den deutsch-französischen Journalistenpreis. Zusammen mit Ortsvorsteher Schmitt plant er jetzt ein Kunstprojekt: „Grenzblick“. Auf einer Streuobstwiese hinter der Kirche auf deutscher Seite, von der man auf eine sanfte Hügellandschaft und hinüber auf die nur wenige hundert Meter entfernte französische Kirche gucken kann, erläutern die beiden ihre Pläne.

Neben beiden Kirchen soll jeweils ein Fenster aus Stahl stehen, viereinhalb Meter hoch und fünfeinhalb breit, aus einer Werkshalle der Dillinger Hütte. „In dem Stahlwerk arbeiten Deutsche und Franzosen zusammen“, erzählt Schmitt. Er selbst ist in der Kommunikationsabteilung der Fabrik. Gulden und Schmitt wollen auf Verbindendes zwischen beiden Ortsteilen und beiden Ländern hinweisen. Einen „grenzenlosen Durchblick“ sollen die Fenster schaffen, erklärt Gulden.

Lange passten nicht einmal die Schläuche

Bisher leben die Bewohner eher aneinander vorbei, sagt Ortsvorsteher Schmitt. Klar, man kenne und grüße sich, „aber jeder macht sein Ding“. Die Franzosen fahren in den nächstgelegenen französischen Ort zum Supermarché, die Leidinger gehen auf der deutschen Seite einkaufen. “Wenn man an der Grenze lebt, grenzt man sich eher ab, als im Mischmasch zweier Kulturen zu verschwinden“, sagt auch Alfred Gulden. „Das hört sich für Leute aus den Bundesländern ohne Grenze erstmal komisch an. Aber es ist so.“ Alfred Gulden erinnert sich an die Dreharbeiten für seinen Leidingen-Film: Sein Team musste alle Genehmigungen für beide Länder haben. In Leidingen gab es zwar weder Schlagbäume noch Zollhäuschen, aber hier patrouillierten regelmäßig die deutschen Zöllner.

Immer sei die Region Spielball der Großmächte gewesen, sagt Schmitt. Mal französisch, mal deutsch. „Hier sieht man noch die Grenzsteine“, sagt er und zeigt auf einen zugewachsenen, verwitterten Stein am Rand der Asphaltstraße. Auf dem Wiener Kongress 1815 wurde die Grenze gezogen, auf dem Reißbrett. Seitdem ist Leidingen geteilt. Aber das scheint hier keinen zu stören. Die meisten Deutsch-Leidinger sprechen kein französisch, sagt Schmitt. Und bis vor kurzem passten die französischen Hydranten und deutsche Feuerwehrschläuche nicht zusammen, so dass im Falle eines Brandes auf französischer Seite die Wehr aus Bouzonville hätte kommen müssen. Dabei hat Leidingen eine eigene freiwillige Feuerwehr.

Bei den Kirchen gibt es eine Zweiteilung, jede Seite hat eine. Früher sei die Kirche auf der deutschen Seite zwar für ein Einzugsgebiet aus französischen und deutschen Dörfern zuständig gewesen, berichtet der Ortsvorsteher, doch im Nationalsozialismus hätten die Franzosen ihre eigene gebaut – damit die Bewohner nicht unter Nazi-Fahnen zur Kirche schreiten mussten.

Volksheld Lafontaine

Natürlich kommt das Gespräch der beiden bald auf Lafontaine. Und auf die letzen Landtagswahlen, als die Linkspartei 21,3% der Stimmen bekam. “Die Saarländer sind eben nicht besonders selbstbewusst”, seufzt Ortsvorsteher Schmitt. Und erklärt: Ein kleines Bundesland hat einen hervorgebracht, der ganz oben mitspielt, der ihnen zu Bekanntheit verhilft. “Das Saarland sieht auf der Landkarte aus wie eine kleine Wildsau, eingequetscht zwischen Rheinland-Pfalz und Frankreich”, sagt Schmitt. “Deshalb wählen sie einen so selbstbewussten Mann wie Lafontaine.” Und er glaubt, dass viele das wohl auch bei der Bundestagswahl tun werden.

Lafontaine ist in dieser Region verwurzelt. Alfred Gulden ist mit ihm befreundet, schon seit Schulzeiten. Sie sind beide in Saarlouis geboren, 15 Kilometer entfernt von Leidingen. Beide haben ihren Wohnsitz in der Region behalten. Gulden lebt im Nachbarort Wallerfangen, Lafontaine im acht Kilometer entfernten Oberlimberg.

Gulden deutet auf die hügelige Grenzlandschaft: “Hier sind wir oft spazieren gegangen.” Beide sprechen moselfränkisch, den Dialekt, den sowohl die Deutsch-Leidinger als auch die Französisch-Leidinger verwenden. Und das verbindet auch. Alfred Gulden erinnert sich, wie er mit Oskar auf dem Mirabellenbaum saß, wie sie in der Umgebung von Wallerfangen wandern waren und sich ständig Leute mit dem Politiker fotografieren lassen wollten. „Eine Frau hielt mit ihrem Auto an, und erzählte, dass ihre Großmutter bis zu ihrem Tod auf ihrem Nachttisch ein gerahmtes Bild von Lafontaine stehen hatte.“ Bewunderung klingt in Guldens Stimme mit.

Lafontaine, der Lokal-Held. Ob ihn auch die französischen Bewohner von Leidingen kennen und schätzen? Allzu sehr interessieren sie sich nicht für deutsche Politik, glaubt Wolfgang Schmitt. Umgekehrt verfolgen die Deutsch-Leidingen auch kaum, was drüben passiert. Das andere Land ist weit weg. Obwohl die Grenze nur eine Straße ist.

 

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