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“Eisenhüttenstadt ist ein Menschenversuch gewesen”

15.08.2009 17:31, Lu Yen Roloff
Ben

Foto: Michael Bennett

EISENHÜTTENSTADT. Ben ist Stadtsoziologe und Blogger. Der 33jährige Doktorand schreibt einen „Weblog für alternative Stadtwahrnehmung“ über Eisenhüttenstadt. Er ist in Eisenhüttenstadt aufgewachsen, lebt heute in Berlin und besucht regelmäßig seine hier lebende Mutter. Sein Interesse liegt in der Eisenhüttener Geschichte und Stadtkultur.

Was fasziniert Dich an Eisenhüttenstadt?

Ich habe bis Ende der 1990er hier gelebt. Diese Zeit war nicht geprägt von Identifikation mit der Stadt, das kam erst, nachdem ich weg war. Aus stadtsoziologischer Perspektive ist Eisenhüttenstadt schon aussergewöhnlich. Als erste sozialistische Planstadt sollte sie den Sozialismus repräsentieren. Am Anfang hat man hier funktional gebaut, schnell und billig. Dann kam die DDR-Führung her und sagte, unsere Arbeiter dürfen so nicht wohnen, das liefert dem Klassenfeind Munition, wir müssen Paläste für Arbeiter schaffen! Und dann hat man relativ ambitioniert Wohnkomplexe gestaltet, mit einer aufs Kollektiv ausgerichteten Freiraumgestaltung: Die Hausgemeinschaft als Einheit, die gemeinsam die Vorgärten pflegte, die Autos am Stadtrand in großen Garagenkomplexen abstellte und sich im Inneren der Stadt zu Fuß bewegte. Man kann heute durch die ganze Stadt gehen, ohne mit Autos in Berührung zu kommen, das findet sich in dieser Form nirgendwo sonst in anderen Städten.

Was ist Eisenhüttenstadt für eine Stadt?

Eisenhüttenstadt ist ein Labor, ein prima Menschenversuch gewesen. So wie alle Planstädte, man legt eine Struktur an, versucht sie möglichst kontrollierbar zu halten und schiebt die Leute rein und schaut, was passiert. Man muss aber den Zeitrahmen sehen, das waren die 1950er und 60er Jahre, wo man den Weltraum erobert hat. Man findet Anlehnungen an dieses utopistische Ideal auch im Stadtraum, man wollte das Ideal eines besseren Lebens verwirklichen. Heute ist Eisenhüttenstadt eine real gewordene Utopie und hat eben deswegen das Utopische bereits wieder verloren.

Du sprichst viel mit Eisenhüttenstädtern über die Stadt und ihre Geschichte. Was sagen die Leute?

Es gibt ein starkes Heimatgefühl von vielen hier. Viel davon ist meiner Meinung nach aber Jugendnostalgie. Weniger aufgrund der Utopie, sondern weil die Menschen, die diese Stadt aufgebaut haben, damals sehr jung waren, viele erst Anfang 20. Das hat man ja in kaum in einer anderen Stadt, dass die Bewohner die Stadt selbst aufgebaut haben. Und so wie sie älter werden, altert die Stadt auch. Aber das ist auch in den anderen Planstädten Hoyerswerda und Schwedt so.

Welche Probleme hat Eisenhüttenstadt heute?

Städtebaulich vollzieht sich hier eine sehr schwierige Transformation. Wie überall in Ostdeutschland wird sehr viel abgerissen. Durch den Abriss entstehen Freiflächen in der Stadt, für die es kaum erkennbare Nachnutzungskonzepte gibt. Der Stadtraum bricht etwas auseinander. Stadt ist ja Verdichtung und wenn die Stadt entdichtet wird, muss man Übergänge schaffen.

Wie schätzt du die Stadt als politischen Raum ein?

Die politische Situation ist hier schwierig, weil die sozialistische Prägung überall drin steckt. Für viele Leute ist der Mustersozialismus prägend gewesen – und damit sind auch Bürgerengagement und Zivilgesellschaft unterrepräsentiert. Diese Montagsdemo (zeigt auf die Montagsdemo, sh. Slideshow) dort drüben entspringt eher dm Trotz, dem neuen System eins auszuwischen, als sich im jetzigen System politisch einzubringen. Während es im Rest der DDR auch Bürgerinitiativen, etwa im Umweltbereich gab, findet man hier diese Tradition nicht. Die Planer wollten hier eine Art Kuschelatmosphäre erzeugen und haben dies auch geschafft. Die Versorgungslage war besser als an anderen Orten. Und so ist Eisenhüttenstadt einer von zwei Orten, in denen die PDS 1990 noch die stärkste Partei war. Dadurch, dass die Jugend geschlossen abwandert, gibt es auch wenig Gelegenheiten, dass sich hier eine neue politische Generation herausbildet. Der Bürgermeister ist ja auch seit 19 Jahren im Amt und wird wahrscheinlich wieder bestätigt. Auch hier ist Kontinuität dadurch gewährleistet, dass es keine Konkurrenz gibt.

Sind die Eisenhüttenstädter politisch?

Ich glaube, dass ein großer Teil der Bevölkerung eher apolitisch durch sein Leben geht. Es gibt natürlich diese Stammtischpolitik wie überall. Sehr typisch ist hier eine Kultur in den Kleingärten, wo bis heute viele Leute ihre Sommerhäuser haben. Im Sozialismus schufen sich die Menschen hier ein bisschen Privatsphäre. Und diese Tradition lebt weiter. Wer seinen Garten hat, ist bis heute eher apolitisch. Die Konsequenz, dass man sich selbst einbringt, schätze ich gering ein.

 

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