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“Wir sind hier in Görlitz gegen die NPD”

15.08.2009 17:38, Lu Yen Roloff
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Foto: Michael Bennett

GÖRLITZ. Joachim Otto, wurde 1941 im polnischen Lauban geboren, früher Mitarbeiter bei Wüstenrot, heute Rentner. Herr Otto kam an den Wahlfahrt09-Stand. Auf einem kleinen Zettel hatte er Stichworte notiert und erzählte uns seine Geschichte. Am Ende schenkte er uns noch sein Buch „Meine Wurzeln in Deiner Heimat.“

Ich bin Schlesier. 1945 mußte ich Lauban verlassen, meine beiden Großväter hatten dort eine Taschentuchfabrik. Durch den Krieg sind wir über Niederbayern bei Passau gelandet und dort bin ich aufgewachsen. Heute heißt Lauban Lubań, es liegt 30 km von Görlitz entfernt. Ich bin vor zwei Jahren mit meiner Familie nach Görlitz gezogen und fühle mich auch durch meine Wurzeln hier sehr integriert. Die meisten Görlitzer fühlen sich als Schlesier oder Oberlausitzer, nicht als Sachsen.

Was ich von den Görlitzern über Polen gehört hab, es gibt eine gewisse Zurückhaltung, dort rüber zu gehen. Das hängt wohl auch mit den 40 Jahren DDR zusammen. Mir wurde erzählt, dass zu DDR-Zeiten die Polen tagsüber über die Grenze kamen und Brot und Lebensmittel gekauft haben, und abends kamen die DDR-Leute von der Arbeit und es war alles weggekauft.

Ich würde alles tun, um mit den Polen kooperativer umzugehen. Die Polen sind wirtschaftlich wichtig für Görlitz. In der Berliner Straße zum Beispiel kaufen die polnischen Frauen ihre Kleider und Schuhe, ich glaube, ein Drittel des Umsatzes wird durch die Polinnen erwirtschaftet. Es kann sein, dass die Polen wirtschaftlich hier vorbeiziehen, sie bauen Baumärkte und Konsumtempel, sie schreiben deutsche Texte darunter und sind viel aufgeschlossener den Deutschen gegenüber als die Deutschen den Polen. Die Polen sind sehr ehrgeizig, die Eltern achten auf die Ausbildung ihrer Kinder, schicken sie zum Studieren ins Ausland. Die ersten kommen wieder zurück.

Die NPD macht hier Wahlkampf mit dem Slogan „Poleninvasion stoppen“. Aber wir sind hier in Görlitz gegen die NPD. Ich war einer von 400 Görlitzern, die sich haben abbilden lassen und gesagt haben: Wir wollen die NPD hier nicht. Damit nimmt Görlitz auch Partei für die Polen. Ein Argument für Polenfeindlichkeit ist die Grenzkriminalität. Die gibt es, es wurden Autos, Fahrräder geklaut, aber das sind nicht immer die Polen. Es gibt auch deutsche Kriminelle, die das ausnutzen und als Trittbrettfahrer mitklauen. Aber das hängt auch damit zusammen, dass in der Bundesrepublik die Armut immer schlimmer wird. Also Hartz 4 und Arbeitslosigkeit. Viele junge Leute rennen hier abends randalierend durch die Stadt, unser Auto wurde seitwärts eingetreten, der Spiegel abgerissen. Das waren auch keine Polen.

Viele der Alten bekommen das nicht mehr hin mit den Polen. Aber die Jugendlichen überwinden das, manche Görlitzer gehen in den polnischen Kindergarten, sagen Tschüß auf Deutsch und Dobre auf Polnisch. Ich hab ein Buch geschrieben: „Meine Wurzeln in Deiner Heimat“, es ist ein Verständigungs- und Begegnungsbuch, es soll jetzt auch auf Polnisch erscheinen. Die Polen reagieren sehr positiv, wenn man ihre Heimat als ihre Heimat anerkennt. Ich wünsche mir ein gutes Verhältnis zwischen Polen und Deutschen.

Im Kulturbereich und bei den Kirchen in Görlitz gibt es gute Ansätze, polnische Künstler stellen in der Neiße-Galerie aus, neben dem Jacob-Böhme-Haus gibt es ein Museum und dann die grenzübergreifende Kulturarbeit. Das funktioniert viel besser als politische Aktionen. Ich bin auch im Verein Kulturbrücken e.V.. Da machen 9-12jährige deutsche und polnische Kinder zusammen Zirkus-Workshops. Da ensteht Entspannung und Entkrampfung, die Jugend wächst also zusammen. Jetzt schreibe ich gerade ein Buch über zwei Katzen, eine Görlitzer Katze trifft einen polnischen Kater. Die haben keine Grenzprobleme, sondern ganz normale Katzenprobleme.

Protokoll: Lu Yen Roloff

 

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