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„Wir müssen unseren Hintern hochkriegen“

18.08.2009 15:27, Kathleen Fietz
Halle_Kaufhaus_quer

Foto: Michael Bennett

HALLE. Wie viele ostdeutsche Städte hat auch Haale an der Saale mit Arbeitslosigkeit und Bevölkerungsrückgang zu kämpfen. Das zu ändern, ist Janis Kapetsis Mission: Mit Jazz, einem Bürgerverein und einem Designkaufhaus.

Mit staubigen Schuhen läuft Janis Kapetsis durch die große Eingangshalle. Dunkel und ein wenig feucht ist es in dem über hundert Jahre alten Kaufhaus. Von den Decken hängen Tapeten in langen dünnen Fetzen, das Bild erinnert an Tropfsteinhöhlen. Trotz Staub und blättrigen, mit Graffiti besprühten Wänden ist die einstige Schönheit des Jugendstilbaus noch zu erkennen: Lange Säulen reichen von der großen Eingangshalle bis hinauf zu dem gläsernen Kuppeldach, das aus DDR-Zeiten noch zugeklebt ist.

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Foto: Michael Bennett

„Halle hat ein unglaubliches kreatives Potential, wir wollen das hier bündeln und kommerziell vermarkten“, sagt Janis Kapetsis, als er eine morsche Holztreppe nach oben steigt. Das marode Kaufhaus hat der 44-Jährige zusammen mit einem Geschäftspartner Anfang dieses Jahres ersteigert. Ein Design-, Kultur- und Medienkaufhaus wollen sie daraus machen. Die kreative Szene Halles sitzt vor allem an der Kunst- und Designhochschule Burg Giebichenstein, an der auch Kapetsis 1985 bis 1990 Design studiert hat.

Was klingt wie ein ambitioniertes Kunstprojekt, ist eine Geschäftsidee, mit dem Unternehmen in die Innenstadt gelockt werden sollen. Design- und Modeläden mit Wellnessangeboten und Lounge im Erdgeschoss, Firmen aus der Medien- und Designbranche in den oberen Galerien – so der Plan. Janis Kapetsis, Cabrioletfahrer, braungebrannt, sportlich, mit Dreitagebart und kurzen Haaren ist ein dynamischer Geschäftsmannes durch und durch. Erfolgreich und zudem überall in der Stadt engagiert: Als sich Leipzig als Olympiastadt bewarb, war er Marketingbeauftragter für den Co-Standort Halle, er sponsert die Hallensischen Basketballfrauen, die in der ersten Bundesliga spielen, und seine Agentur kreiert die aktuelle Werbekampagne des ansässigen Stromanbieters.

Janis Kapetsis Vater kam Anfang der 50er Jahre nach Halle. Er gehöre zur so genannten verlorenen Generation Griechenlands, erzählt der Sohn. Partisanen hatten im Bürgerkrieg Tausende von Kindern in sozialistische Länder verschickt. Mit seinem Vater kamen zwanzig andere Griechen nach Halle, deshalb gab es in Kapetsis Schule auch Griechischunterricht. Ein Produkt designte Kapetsis noch für die DDR-Produktion, bevor die Wende kam: Einen Gepäckträger für den Fahrradhersteller Mifa, der 1988 eine Silbermedaille auf der Leipziger Messer gewann. Produziert wird der heute noch, aber Geld verdient der Hallenser damit nicht, er hatte versäumt das Ost-Patent in Westdeutschland rechtzeitig anzumelden. „Ich bin halt ein doofer Ossi gewesen“, kokettiert er.

Die Wende verstand der zielstrebige Hallenser nicht als Karrierebruch, sondern als Chance. Als selbständiger Designer entwarf er Restaurants und Schlafwagen für russische Hochgeschwindigkeitszüge. 1997 gründete er seine eigene Agentur „Kappa“ und spezialisierte sich auf Kommunikationsdesign, er arbeitet heute vor allem für Unternehmen aus der Immobilien- und Versorgungswirtschaft in ganz Deutschland. Seit drei Jahren betreibt der dreifache Vater zudem mit einem Partner einen Internethandel für hochwertige Designprodukte.

„Und da hinten könnte man dann…“, sagt Kapetsis und zeigt ans Ende der großen Eingangshalle des Kaufhauses. Er führt den Wirtschaftsanwalt Wolfgang Matschke durch das Gebäude, da sich einer seiner Mandanten dafür interessiert. „Kapetsis ist einer der kreativsten Köpfe dieser Stadt. Und er ist gleichzeitig ein guter Geschäftsmann und das gibt es selten“, sagt Matschke, der früher Kanzler der Universität war.

Die beiden gehen vom Kaufhaus aus über den nahe gelegenen Universitätsplatz. Eine große Freitreppe führt zu den im 19. Jahrhundert entstanden Universitätskomplex, daneben das neu gebaute, verglaste Audimax. Dazwischen schlängeln sich enge Gassen mit kleinen Häusern aus der Barock- und Renaissancezeit, zwischen die immer wieder Plattenbauten gesetzt wurden. „Kuschelig, kleinbürgerlich und auch proletarisch und dann die Hochkultur und Wissenschaft – das ist Halle“, sagt Kapetsis. Händel ist in der Stadt geboren, die Gelehrtengesellschaft der Leopoldina und die Franckesche Stiftungen haben ihren Sitz hier in der Saalestadt. „Halle ist die verkannteste Stadt Deutschlands, wir brauchen Botschafter wie Kapetsis“, sagt Matschke.

Was man von dem schönen zentralen Universitätsplatz aus nicht sieht, ist Halle-Neustadt, wo Erfolgsgeschichten wie die von Kapetsis eher nicht zu finden sind. Bis 1990 eine eigenständige Industriestadt um die Chemiewerke Leuna und Buna Schkopau ist die ehemalige Arbeiterstadt heute vor allem von Leerstand und Arbeitslosigkeit gezeichnet. 1990 wurden Halle und Halle-Neustadt zusammengelegt. Von den mehr als 300 000 Einwohner zu Wendezeiten sind heute nur noch 232 000 übrig.

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Foto: Michael Bennett

„In Halle ist Anfang der 90er Jahre nichts passiert, um wieder Wirtschaft anzusiedeln. Das macht mich heute noch sauer“, sagt Kapetsis und zum ersten Mal verschwindet sein Lächeln. Deshalb gründete er vor sechs Jahren den Bürgerverein „Wir für Halle“ mit, der es dann mit drei Sitzen in den Stadtrat schaffte. Doch auch mit politischer Teilhabe konnte er weniger als erhofft bewegen. „Es ist wie auf Bundesebene: Durch die vielen kleinen Parteien und Bürgervereine dauern Entscheidungsprozesse unheimlich lange und kreative Ideen werden oft abgeschmettert“, erklärt er. Eine solche Idee war etwa, freie Bauflächen an Investoren zu verschenken und an die Schenkung eine Bauverpflichtung zu koppeln, um Unternehmen in die Region zu locken.

Zurück in der Agentur. Mit seinen Angestellten sitzt Kapetsis in der Küche, jeden Tag kocht jemand für die gesamte Crew. Elf Festangestellte arbeiten derzeit in der Agentur, sein Internethandel verzeichnet trotz Wirtschaftskrise Umsatzzuwächse. Als mittelständigen Unternehmer ärgern ihn die politischen Rettungsaktionen großer Banken und Wirtschaftsunternehmen. „Es ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Große marode Unternehmen werden gerettet, obwohl sie Fehler gemacht haben und die machen die kleinen ehrlichen Mittelständler kaputt“, beklagt er sich und fordert Steuererleichterung als Anerkennung für solides Wirtschaften. Bei der Bundestagwahl wird der klassische Wechselwähler diesmal der CDU seine Stimme geben. „Eine Medienkanzlerin ist Angela Merkel nicht, aber ihr rationales Denken ist mir wichtiger“, erklärt er die Entscheidung.

Inzwischen ist Kapetsis von vielen Ämtern zurückgetreten, engagiert sich aber nach wie vor in der Stadt. So etwa mit dem ersten europäischen Frauen-Jazzfestival, das er seit fünf Jahren mitorganisiert. Eine Kneipenidee mit zwei Freunden, Kapetsis hatte damals kaum Ahnung von Jazz. Inzwischen kommen jährlich bis zu 4000 Besucher zu dem Event. Jetzt fordert er vom Land finanzielle Unterstützung. „Wir haben gezeigt, dass man so etwas mit privatem Engagement stemmen kann. Jetzt nützt es dem Land und deshalb sollen die jetzt mit ran“, erklärt er.

Kapetsis steht auf dem Dach seines Kaufhauses. Er hofft, es 2011 zu eröffnen; in diesem Jahr wird in den baufälligen Räumen noch eine große Kunst- und Designausstellung stattfinden. „Wir müssen unseren Hintern hochkriegen, müssen einfach besser sein als andere und mit innovativen Ideen Touristen und Unternehmen begeistern“. Wie oft, wenn Kapetsis das Wort „wir“ benutzt, ist nicht ganz klar, ob er gerade die Kunstszene, die Hallensischen Unternehmer oder Politiker oder die ganze Stadt Halle meint. Denn für ihn gehört das alles zusammen.

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Foto: Michael Bennett

 

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