RSS Feed

Kooperationspartner

Das mobile Journalistenbüro
auf Deutschlandreise

“Das jetzige System ist das Schlimmste”

10.08.2009 17:32, Lu Yen Roloff
Gerhard

Foto: Michael Bennett

EISENHÜTTENSTADT. Gerhard ist 85 und in der “Bitterfelder Ecke” geboren. Als gelernter Schriftsetzer wurde er 1942 als Soldat eingezogen und im 2. Weltkrieg schwer verwundet, musste deswegen seinen Beruf aufgeben. Am Wahlfahrt09-Stand sprach er mit Reporterin Lu Yen Roloff

Ich wollte nicht nach Eisenhüttenstadt, ich bin als Seminarlehrer der Betriebsparteischule hierher versetzt worden. Heute ist Eisenhüttenstadt meine Heimat geworden, ich bin seit 1959 hier. Ich fühle mich wohl in Eisenhüttenstadt. Mir gefällt insgesamt der ganze Aufbau, der Wohnkomfort, nicht so wie drüben im Westen ein Block auf dem anderen, man guckt aus dem Fenster und hat’s grün.

Was mir nicht gefällt, sind die ganzen Einkaufseinrichtungen. Früher hatten wir die Handelsorganisation, und dann gab’s noch die Konsumgenossenschaft. Sechs Kaufhallen und der Konsum hatte zwei Kaufhallen, und die waren da für die Versorgung von 50.000 Leuten da. Heute haben wir Real, dort haben wir Aldi und dort Netto. Gucken sie mal hier, hier war ein Möbelkaufhaus, dahinten war das Kaufhaus für Industriewaren, es gab schon einiges in Eisenhüttenstadt. Im Rahmen der DDR hatte die Stadt einen Sonderstatus und aus der ganzen Republik sind Menschen hergekommen. Jeder hat seine Arbeit gehabt, sein Essen und sein Trinken. Die Bildung war gewährleistet vom Kindergarten an bis zum Studium. Wobei ich heute ganz offen sage, es konnte nicht so weiter gehen bei uns. Die Wirtschaftspolitik ist falsch gewesen.

Eisenhüttenstadt hat sich sehr verändert. Im EKO (Eisenhüttenkombinat Ost, Anm. der Redaktion) haben damals rund 12.000 Menschen gearbeitet, damals hat Eisenhüttenstadt 52.000 Einwohner gehabt, heute sind es nur noch rund 30.000. Wir hatten die Großbetriebe, die Großbäckerei mit 450 Beschäftigten, das Fleischkombinat mit 600 Beschäftigten, die Molkerei und die Baubetriebe. Das ist alles weg.

Nehmen sie mal die letzte Super Illu zur Hand, dort ist ein Interview mit dem Roland Kaiser drin. Der hat ganz offen gesagt, dass vieles hier einfach zu Unrecht geschehen ist. Ich finde zum Beispiel ungerecht, dass wir heute so eine hohe Arbeitslosigkeit haben und dass die Menschen gespalten worden sind. Es gibt auf der einen Seite die Superreichen, die kann man auf RTL abends um 19.10 Uhr sehen. Auf der anderen Seite wird heute eine erweiterte Sklavenarbeit betrieben. Manche müssen für einen Euro arbeiten, ja wo gibt’s denn sowas? Und das ist ne Gesellschaftsordnung? Man hat das wunderbar verstanden mit der Einheit Deutschlands die Bevölkerung zu spalten. Und das hat man gemacht, um zu verhindern, dass die Menschen auf die Straße gehen.

Die Gesetzlichkeit bei der Festlegung bei der Einheit, die wurde nicht eingehalten, hat auch der Roland Kaiser gesagt. Ein Kieler Professor hat in der Volkssolidarität Untersuchungen veröffentlicht: Werte in Höhe von 750 Milliarden haben die Russen hier rausgeholt. Als die Einheit Deutschlands kam, hat Russland der DDR gegenüber Schulden gehabt. Und was hat der dicke Kohl gemacht, der hat das dem Gorbatschow geschenkt. Darüber sagt man heute keinen Ton, die ganzen Reparationskosten haben wir zahlen müssen in Ostdeutschland. Wir haben nach Russland Kartoffeln geliefert, und die drüben im Westen hatten den Marshall-Plan, der zum Aufbruch in Westdeutschland geführt hat.

Ich habe vier Gesellschaftssysteme erlebt, die Weimarer Republik, die Hitlerzeit, die DDR und das jetzige System – und das ist das Schlimmste von allen. Die heutige Gesellschaft belügt und betrügt die Menschen auf eine Weise, die es in den vorherigen Gesellschaften nicht gegeben hat. Diese Regierung ist gelenkt und geleitet von Seiten des Großkapitals. Zum Beispiel die Banken, die Mist gebaut haben, die haben das Geld gekriegt und der kleine Mittelstand ist nach hinten angestellt worden.

Ich wünsche mir für Eisenhüttenstadt, dass das EKO voll und ganz wieder auf Touren kommt und dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht und dass auch Gesetze geändert werden, die zur Festigung der Staatsordnung beitragen. Wenn 12 Prozent arbeitslos sind, was will der Bürgermeister denn machen? Jetzt soll die Papierfabrik kommen, da sagen sie, es werden 500 Beschäftigte, aber es werden nur 150. Solar soll auch noch kommen. Nichts ist schlimmer, als wenn der Mensch keine Arbeit hat.

Man kann heute SPD, CDU oder Grüne wählen. Aber echte Freiheit gibt es nicht. Das was der Gysi will und der Lafontaine, vom Grundprinzip find ich das in Ordnung, das ist die einzige Partei, die gegen den Eintritt deutscher Truppen in Afghanistan ist. Wenn diejenigen, die für den Krieg stimmen, mal selbst im Krieg gewesen wären. Die können sich gar nicht vorstellen, was ein Krieg bedeutet. Sagen sie mir mal: Was haben wir denn in Afghanistan zu suchen?

Gespräch und Protokoll: Lu Yen Roloff

 

Mit Dank an unsere Sponsoren:

 
© WAHLFAHRT09 | Alle Rechte vorbehalten. Impressum Kontakt