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Wenn Fische Wahlkampf machen

26.08.2009 12:10, Moira Lenz
konstanz_fischpartei-intro

Foto: Markus Brenner


Erschienen am 2. September 2009 auf Spiegel Online

KONSTANZ. Wer steckt dahinter, die “Titanic” oder Horst Schlämmer? In Konstanz sind die Straßen mit sonderbaren Wahlkampfplakaten gepflastert, auf denen Forellen im Deutschland-Badeanzug zu sehen sind. “Wahlfahrt09″-Reporterin Moira Lenz spürte den Fischen in der Politik nach – und stieß auf eine Überraschung.

Fische im Wasser sind eigentlich nichts Besonderes. Doch diese Forellen im kristallklaren Seitenkanal machen Wahlkampf und kommen einfach nicht vom Fleck. Es sind an Eisenstangen befestigte Fischskulpturen, überlebensgroß auf Folie gedruckt, die durch die Strömung hin- und hergleiten. Am Geländer der Brücke, die über den Kanal führt, hängen Wahlplakate. Der Slogan lautet: “Mit uns gegen den Strom – Die Fische”.

Hinter der Fischpartei stecken weder Piratenpartei, “Titanic” noch Horst Schlämmer, sondern Markus Brenner, Medienkünstler aus Konstanz. Der schlanke, braungebrannte 46-Jährige erzählt begeistert von seinem aktuellen Projekt – einer Kunstpartei. Er managt das Ganze, Spitzenkandidaten sind aber die Fische: Forellen, die deutsche, schweizerische oder schwedische Badeanzüge tragen.

Fische sind Brenners Markenzeichen, seit sie 2002 Teil einer Videoinstallation mit einer Schweizer Wasserballmannschaft und bekleideten Fischen waren. Heraus kamen tierische Menschen, die unter Wasser wüteten – und zivilisierte, gut angezogene Fische, die sich elegant im Tanze wiegten. Ein Rollentausch, der für Brenner zum Beginn einer künstlerischen Auseinandersetzung mit den Analogien zwischen Fisch und Mensch wurde. Fortan suchte der Medienkünstler nach Badehosen und Bikinis, um daraus Fischanzüge schneidern zu lassen und am frisch gefangenen Modell zu fotografieren. Derart individualisiert, verkleidet, präsentieren sich die Fische in menschlichem Gewand als Grenzgänger zwischen Natur und Kultur.

“Gute Kunst gibt keine Antworten!”

Pünktlich zur Vernissage seiner jüngsten Unterwasser-Kunstinstallation hat Brenner die Stadt am Bodensee mit Plakaten der Fischpartei zugekleistert. Zuvor hatte der Künstler die Bildsprache von Wahlwerbung recherchiert und verglichen, mit dem Ergebnis: “Einfach strukturiert, seit Jahren gleich: Slogan, Foto, Kreuzchen – fertig ist das Wahlplakat.” Für die weitere Inszenierung folgte er dem politischen Vorbild und spitzte Redewendungen aus der Wasserperspektive auf Parteislogans zu: “Wir bieten Tiefgang”, “Zukunft ohne Widerhaken”, “Frei schwimmen überall”, “Fisches Wasser weltweit”. Auch “Liquidität” und “Transparenz” zählen zu den Schlagworten der Fischpartei – Begriffe, die in ihrer Doppeldeutigkeit heute auch in der Realpolitik hochaktuell sind.

Am 31. Juli postierte er den Stand der Fischpartei am Seeufer. Parteitypisch mit Sonnenschirm und Logo, Werbeprospekten, Postkarten und Buttons – und natürlich Fischen. Die Plakate sorgten für Verwirrung: Viele nahmen die Aktion ernst, erzählt Brenner bei einem Kaffee in der Sonne: “Ich wurde gefragt, ob wir wählbar seien, was das Ganze soll und was für ein Programm wir vertreten.” Brenner schmunzelt: “Und weil wir mit dem Slogan ‘Gegen den Strom’ warben, dachte manch einer sogar, dass wir die Strompreise senken wollten.”

Auch wenn diese Inszenierung durchaus humoristische Elemente aufweist – der Kunsthistoriker Jürgen Stöhr, 45, sieht in Brenners Parteiensimulation einen großen Unterschied zu Hape Kerkelings Parteienpersiflage: “Kunst lässt Irritation entstehen, Hape Kerkeling löst sie sofort wieder auf.” Während politische Comedy nur einen kurzen Aha-Effekt bewirke, liege die Stärke im Kunstdiskurs darin, die Situation offen zu lassen. So sei der Betrachter aufgefordert, die Irritation wahrzunehmen, hinzunehmen – sonst passiere nichts, sagt Stöhr: “Gute Kunst gibt keine Antworten, sondern stellt Fragen. Hier zum Beispiel: Was ist Politik?”

“Politik sollte experimentierfreudiger sein”

Markus Brenner will mit seiner Fischpartei auf gesellschaftspolitische Entwicklungen aufmerksam machen. So wie seine Fische erst über kulturelle Symbole wie Nationalfarben oder Kleidung menschliche Züge annehmen, entstehe bei den Menschen heute Zugehörigkeit über Logos. Ob im Pferdesport, beim Golfen, Segeln oder Skaten – auf der ganzen Welt kleideten sich die jeweiligen Gruppen gleich. Dagegen verliere der Nationalstaat immer mehr an Bedeutung.

Neulich belauschte Brenner eine Dame, die am Rhein direkt an der Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz einen Schweizer Fisch kaufen wollte. Für Brenner steckt hinter der absurden Vorstellung, einem Fisch eine Nationalität zuzuordnen, ein Denkanstoß für die Frage der Nationalität insgesamt: “Ob man auf der einen oder anderen Seite der Grenze geboren wurde, bestimmt so viel. Dabei ist es auf einer anderen Ebene völlig gleichgültig”. Willkürlich sei es, welche Farbe der eigene Pass trage.

Selbst politisch aktiv zu werden, kann sich der Künstler nicht vorstellen. Die Kunst könne hier mutiger sein, weil sie sich später nicht rechtfertigen müsse im gesellschaftspolitischen Sinne. Genau diesen Mut vermisst Brenner in der Realpolitik: “Es wäre spannend, wenn die Politik experimentierfreudiger wäre. Man könnte doch ein paar Jahre etwas austesten, zum Beispiel das Grundeinkommen.” Aber dafür sei das Besitzstandsdenken der Politiker wohl zu groß.

Was passiert, wenn der “Politiker” durch den “Fisch” ersetzt wird?

Kunsthistoriker Stöhr findet die Aktion gut. Ihm gefällt, dass der vertraute Wasserkanal der Stadt durch die Fischinstallation verwandelt wird, einen zweiten Blick provoziert: “Plötzlich wird der kleine Wassergraben, der wunderschön romantisch, aber schon alltäglich ist, wieder zu etwas Besonderem.”

Die Fischpartei sei zudem ein gelungenes Beispiel für “Kontextkunst”. Der Begriff bezeichnet eine Kunstströmung, die bereits in den 1980er und 1990er Jahren temporär in den gesellschaftlichen Diskurs eingriff, erklärt Stöhr: “Indem sich Brenner in den politischen Prozess einschleicht, simuliert er auf der Ebene des Kunstwerks, was Parteien in der Realität tun.” Das Projekt funktioniere durch Ersetzung: “Was passiert, wenn der Begriff Politiker durch den Begriff Fisch ersetzt wird? Die Metapher für den Politiker ist Fisch: Glitschig, sprachlos, austauschbar, nicht greifbar, es kommen Luftblasen statt Wahrheiten aus dem Mund.” So mache Brenner den Politiker sichtbar, indem er den Fisch zeige.

Im Kanal beim Inselhotel holt sich die Natur die Partei-Forellen erstaunlich schnell zurück: Alle paar Wochen muss Markus Brenner ins Wasser steigen, um seine Fische von Algen, Plankton und kleinen Krebschen zu befreien. In der Realpolitik geht das Saubermachen leider nicht so leicht.

 

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