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Wie sich Politik beschleunigen lässt

27.08.2009 8:00, Paula Scheidt
Michael Breuninger hat sich als einziger der Betroffenen im Schulstreit öffentlich bekannt (Foto: Milos Djuric)

Michael Breuninger hat sich als einziger der Betroffenen im Schulstreit öffentlich bekannt (Foto: Milos Djuric)

KONSTANZ. Weil die Konstanzer Gymnasien bei den in der Schweiz wohnhaften Exil-Deutschen so beliebt sind, werden Kinder aus Konstanz abgewiesen. Einspruch zwecklos – doch einem Familienvater hilft die baden-württembergische Landesregierung in Rekordtempo. Dem Wahlkampf sei dank.

So eine schnelle Antwort hätte Michael Breuninger sich nicht träumen lassen. Nur drei Tage zuvor hatte er den Brief zur Post gebracht. „Sehr geehrter Herr Oettinger“, hatte er geschrieben, „wir brauchen Ihre Hilfe!“ Das Wort „Hilfe“ hatte er fett gedruckt und unterstrichen, jeden einzelnen Satz mit einem Ausrufezeichen versehen. „Trotz bester Noten hat meine Tochter keinen Platz an ihrem Wunschgymnasium bekommen!“ Der Mann, der kurz darauf in Breuningers Café am Tresen auftauchte, kam aus Stuttgart. Er wollte wissen, was denn da los sei mit Breuningers Tochter Sandrina und deren Absage für das Humboldt-Gymnasium.

Nichts erzählt Breuninger lieber als das.

Trotz einer Empfehlung war seine Tochter im Mai von ihrem Wunschgymnasium abgelehnt worden. Es gebe nicht genug Plätze und eine andere Schule liege auch näher zum Wohnsitz der Breuningers. Man empfahl Sandrina, sich dort anzumelden. Breuninger legte Einspruch beim Schulleiter ein, der wurde abgelehnt. „Dabei ist unsere Tochter ein Ass in Mathe und hat die besten Noten“ sagt Breuninger voller Bewunderung, er und seine Frau hätten „nur“ mittlere Reife. Wegen des sehr guten Rufs musste es in Breuningers Augen unbedingt das naturwissenschaftliche Humboldt-Gymnasium sein. Dass seine Tochter keinen Platz bekommen sollte, obwohl sie die Anforderungen erfüllte, wollte ihm nicht in den Kopf.

Breuninger ging zur Presse – und heraus kam, dass er nicht der einzige war, dessen Kind abgelehnt wurde. Mindestens neun weitere Fälle wurden bekannt. Gleichzeitig jedoch wurden Kinder von Deutschen, die in der Schweiz wohnten, angenommen. Seit das Nachbarland vor zwei Jahren die Einwanderungsbestimmungen gelockert hat, sind viele Deutsche aus der Bodenseeregion über die Grenze gezogen. Und die schicken ihre Kinder gern weiter in Deutschland zur Schule.

Nehmen deutsche Auswanderer also Deutschen die Schulplätze weg? Eigentlich geht das nicht, denn gesetzlich müssen Inländer bevorzugt werden. Immerhin zahlen die Eltern in der Schweiz Steuern, also sollten ihre Kinder auch dort zur Schule gehen. Breuninger versteht die Präferenz für deutsche Schulen sowieso nicht: „Das Schweizer Schulsystem hat doch einen sehr guten Ruf!“

Er beschwerte sich wieder, eine Ebene höher, beim Regierungspräsidium in Freiburg. Dort kennt man die Eskalationsgefahr von schweizerisch-deutschen Grenzkonflikten nur zu gut. Alfons Bank, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit nennt das Grenzverhältnis „nicht ganz emotionsfrei“. Fingerspitzengefühl sei gefragt, um Konflikte wie den um Fluglärm oder Verpachtung von Land zu lösen. Denn: „Wir sind an guten Grenzbeziehungen sehr interessiert.“ Den Einspruch von Breuninger lehnte er dann auch ab – weil angeblich seit Jahren alle Schüler unanhängig vom Wohnsitz gleich behandelt würden.

Also schrieb Breuninger den Brief an den Ministerpräsidenten. Der handelte blitzschnell: Schon zwei Tage nach dem unerwarteten Besuch aus Stuttgart bekam Breuninger ein Schreiben vom Humboldt-Gymnasium. Nun wurde Sandrina doch zugelassen. „Wir helfen ihrem Widerspruch ab“, stand in dem Brief. Mehr nicht. Breuninger ist die Freude deutlich anzusehen, wenn er von der überraschenden Wende erzählt. Aber er sagt auch: „Ich will mir den Erfolg nicht auf die eigene Fahne schreiben. Würden wir uns nicht im Wahlkampf befinden, hätte das nie und nimmer geklappt.“

Für den Politologen Jochen Voss ist die Reaktion des Kultusministeriums nichts als ein „politisches Symbol“. Er ist Experte für Wahlkampfmethoden und hat beobachtet: Solche Hauruck-Aktionen setzen Politiker vor Wahlen gerne einsetzen, um die Bürger zu beeindrucken und zu zeigen: Wir sind da und tun etwas für euch. „Je mehr der Wahlkampf in den Medien stattfindet, desto stärker setzen Politiker auf symbolische Politik, indem sie komplexe Probleme vereinfachen und emotionalisieren.“

Auch Frank Brettschneider, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Universität Hohenheim vermutet den Wahlkampf als Grund für die schnelle Reaktion. „Die Bildungspolitik in Baden-Württemberg hat in letzter Zeit immer wieder hohe Wellen geschlagen“, sagt er. Die Landesregierung habe so kurz vor der Wahl sicher kein Interesse an negativen Schlagzeilen zum Thema Schule.

Beim Kultusministerium in Stuttgart gibt man sich einsilbig: „Der Fall Konstanz ist erledigt.“ Die nötigen Gesetze existierten bereits. Das Regierungspräsidium Freiburg ist hingegen noch dabei, diese auszulegen. „Wir sind noch auf der Suche nach einer Lösung. Wie nächstes Jahr entschieden wird, steht offen“, sagt Alfons Bank, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit. Dass der Wahlkampf die vorläufige Kehrtwende herbeigeführt habe, bestreitet er.

Auch die anderen neun Kinder, die zuvor abgewiesen worden waren, haben nun einen Platz am gewünschten Gymnasium bekommen. „Dafür fehlen uns aber die Räume, für die wir seit Jahren kämpfen“, sagte Jürgen Kaz, Schulleiter des Humboldt-Gymnasiums, nach der Entscheidung dem Südkurier. Die Zahl der in der Schweiz wohnenden Schüler  an Konstanzer Gymnasien nimmt der Zeitung zufolge zu. Vor zwei Jahren seien es 122, im vergangenen Jahr 145 und derzeit sogar 188.

Wahlkampf hin oder her. Breuninger ist zufrieden, er hat sein Ziel erreicht: Sandrina wird wie gewünscht ab dem neuen Schuljahr das Humboldt-Gymnasium besuchen. Vor kurzem hat er noch einen zweiten Brief nach Stuttgart geschrieben: „Sehr geehrter Herr Oettinger, wenn Sie irgendwann wieder einmal in Konstanz sind und einen guten Cappuccino trinken möchten, wären Sie natürlich, als kleines Dankeschön, gerne mein Gast.“

 

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