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CSU ohne C

24.08.2009 16:15, Thomas Trappe
Erdingen, 24.09.2009: In der Kirche St. Johann liegt das Skelett des Sanctus Prosper in einem Glaskasten aufgebahrt.[/caption]Foto: Milos Djuric

ERDING. Erding in Oberbayern ist wohl das, was man eine ur-katholische Gemeinde nennt. Auch wenn hier nur wenige ihren christlichen Glauben in Frage stellen, hat die Autorität der Kirche abgenommen. Auch das Kreuz bei der CSU zu machen, ist für Erdinger Christen lange nicht mehr selbstverständlich. Viele hoffen hier auf neue Parteien – die sich um Gottes Willen nicht als christlich etikettieren sollen.

Ein Skelett, ausgerechnet. Es liegt ein Skelett im Glaskasten. Ich gehe als Atheist in die Erdinger Stadtpfarrkirche St. Johann, kenne mich schlecht aus mit Kirchendingen. Weiß also auch nicht, dass es für Katholiken üblich ist, Leichenteile von Heiligen in Kirchen vorgesetzt zu bekommen, in diesem Fall eben die Gebeine des Sanctus Prosper. Auf drei Samtkissen liegt er gebettet, sämtliche Knochen sind mit Gold verziert, die Augen sogar ausgestopft. Da ich kein Latein kann, vermute ich nur, was Sanctus Prosper wohl heißen könnte. Der Heilige Wohlhabende? Der Heilige Reine? Egal, zu Erding passt es irgendwie, in jedem Fall.

Ich bin an diesem Sonntag in der Kirche, weil die Wahlfahrt09 Station im oberbayrischen Erding macht, eine Region, in der die Kirche ja angeblich eine herausragende Rolle spielt. Ich will wissen, ob das wirklich so ist und wie dadurch das politische Denken in der Stadt beeinflusst wird. Bedeutet Christ sein christsozial sein? Ist die CSU-Dominanz in Bayern quasi gottgegeben?

Doch erst mal wird gebetet. Die Kirche ist zu zwei Dritteln gefüllt, vor allem Ältere sitzen in den Reihen. Die Bewegungsabläufe sind fast synchron, zu den Gesangsbüchern greift kaum einer, wenn im Chor zu Gott gesprochen wird. Bis zum Schluss wirkt der Gottesdienst wie eine gut choreographierte Veranstaltung.

Nach den Abschiedsworten des Pfarrers teilt sich die Menge. Die meisten strömen zum Ausgang, nur wenige bleiben sitzen, bis das Orgelspiel zu Ende ist. Unter ihnen Erich Greiner (73), er lauscht bedächtig. Greiner geht seit Kindestagen in den Gottesdienst, fast jeden Sonntag. Jetzt nach der Predigt wirkt der vollbärtige Mann gelöst und gibt mir bereitwillig Auskunft, was er von der Institution Kirche hält: Nicht viel. Viel zu autoritär gebe die sich, stecke fest in einer Kruste leerer Rituale. „Das Ganze ist eigentlich ein Schmarrn“, sagt er. Meine Frage, warum er dann noch in den Gottesdienst geht, beantwortet er mit einem Vergleich: „Wenn Sie Fußball spielen wollen, gehen Sie in einen Fußballverein, auch wenn sie vom Vorstand nicht viel halten“. Als gläubiger Christ sei er eben gerne im Haus Gottes, „das ganze Drumherum interessiert mich nicht“.

“Fegefeuer ist reiner Schwachsinn”

Erich Greiner genießt die Freiheit, so harsch über seine Kirche zu reden. Er erinnert sich, wie er als Kind vom Pfarrer eingebläut bekam, dass es ein Fegefeuer gebe und ihm dieses drohe, sollte er nicht brav Gott ehren. „Reiner Schwachsinn“, sagt er heute. Vor allem auf die Unwissenheit und Angst habe die Kirche seinerzeit gesetzt, um ihre Macht in der Gemeinde zu festigen, davon ist der Übersetzer überzeugt, der nach dem Frühschoppen an diesem Sonntag noch am Schreibtisch sitzen wird. Dass die Kirche den Tag lieber als Ruhetag respektiert sehe, ist ihm egal.

Auch das Rentnerpaar Erich Jauernig (73) und Christa Lainer (71) hat heute keine Kirche besucht, schon lange verzichten die Beiden darauf. Ich begegne dem Paar, als es Händchen haltend durch die Erdinger Innenstadt schlendert. Sie verstehen sich als gläubige Christen, „dafür brauch ich die Kirche aber nicht“, meint der Mann im eleganten Pullover. „Unterdrückt“ hätten ihn die Pfarrer in seiner Kindheit, berichtet er. Nie vergessen hat er den Tag, als er als kleines Kind aus dem Gottesdienst geschmissen wurde, weil er sich auf einen Stuhl setzte. Er kam damals als schlesisches Flüchtlingskind nach Bayern, die Sitzplätze seien den Einheimischen vorbehalten gewesen. Gleichzeitig drohten aber Strafen bis hin zu Schlägen, wenn der Gottesdienst geschwänzt wurde, sagt Jauernig.

Erding, 24.09.2009: Eine Stammtischrunde im Erdinger Weissbräu

Erding, 24.09.2009: Eine Stammtischrunde im Erdinger Weissbräu

Diese Zeiten sind vorbei. Ich geselle mich an einen Stammtisch, drei Männer Mitte 50 treffen sich jeden Sonntag um zehn Uhr morgens hier, um ein paar Weizen zu trinken. Die Autorität ist hier nicht mehr der Pfarrer, sondern die Ehefrau. Bis Mittag müssten sie zu Hause sein, erzählen die Drei, sonst gebe es Ärger mit der Gattin. Nur einer von den Stammtischbrüdern war heute im Gottesdienst, Anton Reidl, Kraftfahrer. „Ich hab für die anderen mit gebetet“, sagt er und gibt zu verstehen, dass er sich schönere Themen an einem Sonntag vorstellen kann als Gott und Kirche. „Zum Gottesdienst gehen bei uns eigentlich nur noch die Älteren“, meint Reidl, der selbst sporadisch geht. Als Christen verstehen sich aber auch diese Männer, keine Frage.

Angst flößt die Kirche in Erding keinem mehr ein, das ist mir jetzt klar. Deutet das auch einen Bedeutungsverlust der christlichen Volkspartei CSU hin?

„Auf jeden Fall war es früher so, dass ein Kirchgänger meist auch CSU gewählt hat“, sagt der Kriegsflüchtling Jauernig. „Ein Christ macht sein Kreuz bei der CSU, das hat lange gegolten“, erzählt mir wenig später auch Joseph Festner, „selbst 68er-geprägt“, wie er auch durch seine langen, offen getragenen Haare zu erkennen gibt. In Bayern seien Staat und Kirche lange Zeit eine Symbiose eingegangen. Entsprechend normal sei es gewesen, dass von der Kanzel aus gepredigt wurde, was auf dem Wahlzettel angekreuzt werden sollte. Eine andere Partei als die Christsozialen sei nicht in Frage gekommen. Auch Festner musste als Kind in die Kirche, ob er wollte oder nicht. „Mein Sohn muss das nicht mehr“, betont er.

CSU-Frühschoppen in der Sportgaststätte

Ortswechsel. CSU-Frühschoppen in der Sportgaststätte „SV Wörth“, das Wahlfahrt09-Team schaut sich einen Auftritt von Max Lehmer (62) an. Vor einer Legislatur gewann Lehmer in Erding ein Direktmandat – mit der überwältigenden Mehrheit von 58,4 Prozent. Von Bedeutungsverlust der CSU ist hier im Saal wenig zu spüren. Vor den rund 25 Zuschauern, darunter eine Frau, hat Lehmer ein Heimspiel. Der Mann mit dem weißen Kinnbart redet frei, nach wenigen Minuten verkleben die ersten Schweißtropfen auf der Stirn seinen sauber gekämmten Seitenscheitel. Während seiner einstündigen Rede kommt er nur kurz auf die Rolle des Christlichen in seiner Partei zu sprechen, sagt, dass er vor allem „christlich soziale Werte“ in der Politik betont wissen möchte: „Dann haben wir die Familien auf unserer Seite.“

Die Männer unten am Tisch sind von Lehmer begeistert. Einer sagt, er schätze an dem CSU-Abgeordneten seine „christlich familiäre Einstellung“. Was bedeutet das, wollen wir wissen? „Dass einer die Wahrheit spricht“, antwortet jemand. In wenigen Sätzen erklären die meisten hier am Tisch, dass sie nicht den wählen, der am christlichsten daherkommt. Aber eben trotzdem CSU. Fünf von neun Befragten sind sich da sicher, vier andere überlegen noch. „Ohne die CSU haben wir kein Sprachorgan in Berlin“, fasst einer die Gründe für die Wahlen zusammen. Der nächste ergänzt: „Unter der CSU ist es uns immer gut gegangen.“ Nein, die Glaubensfrage stehe beim Kreuzchen machen für keinen im Vordergrund.

CSU und Kirche sind zwei Paar Schuhe

Dass CSU und Kirche inzwischen zwei verschiedene Schuhe sind, kann ich mir direkt in der Kirche bestätigen lassen. Pfarrer Ludwig Klarl jedenfalls ist weit davon entfernt, Wahlempfehlungen zu geben. Drei Gottesdienste hat Klarl bereits hinter sich, als ich ihn am Ende dieses Vormittags in der Sakristei der Pfarrkirche besuche. Sein Pfarrgewand hat er abgeworfen, spricht noch kurz mit ein paar Kirchenbesuchern. „Es geht in der Politik um den Mammon“, sagt er während unserer Unterhaltung. Natürlich auch bei der CSU. Zu einer direkten Kritik an der Partei will er sich nicht hinreißen lassen. „Das C sollte eine Partei umsetzen, wenn sie es im Namen trägt“, sagt er aber und lässt keinen Zweifel daran, dass die CSU das aus seiner Sicht nicht tut. „Die Regierung gibt Milliarden aus und die Leute werden immer ärmer.“

Ich erinnere mich an das Gespräch am Morgen mit Erich Greiner, der so gerne dem Orgelspiel zuhörte. Kleine Parteien, die sich erst noch gründen müssten, so meinte er, würden in Bayern künftig an Zulauf gewinnen, weil man ihnen am ehesten zutraut, dass sie noch neue Ideen hätten. Ich werde diese Meinung dann noch öfter hören am Nachmittag, zum Beispiel von einem Erdinger, der mir erzählt, dass er die Ökologisch Demokratische Partei Bayern wählen wollen. Oder jenem, der noch auf die überzeugende Partei wartet, die vielleicht noch gegründet wird.

Mit christlichen Werten sollte diese Partei der Zukunft wohl in Erding besser nicht werben. Erich Greiner fasst für mich zusammen, was sich wohl viele Bayern wünschen. „Wer mich regiert, soll nicht das Christentum als Etikett verwenden, sondern ein guter Verwalter sein. Er soll auf mein Geld aufpassen und mich nicht anlügen.“

Vielleicht wollen die Erdinger einfach, dass die Politiker ihre Kirche im Dorf lassen.

 

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