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Ohne mich

27.09.2009 23:25, Daniel Stender

BÖRDE. Im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt blieben 2005 mehr Wähler zuhause als sonst wo in Deutschland: 32 Prozent gingen nicht zur Wahl – aus Langeweile, Politikverdrossenheit, Protest und Verpeiltheit. Auch 2009 gibt es viele Wahlberechtigte, die nicht wählen wollen. Fünf Begegnungen mit Nichtwählern in der Kreisstadt Haldensleben.

Nein, er wird nicht wählen gehen, erklärt der gepflegte ältere Herr, der seinen Pudel zwischen den Reihenhäusern von Haldensleben spazieren führt. Er schickt sich an zu gehen – doch dann bricht es plötzlich aus ihm hervor: „Dieser Verbrecherstaat! Mit dem möchte ich nichts zu tun haben!“, schimpft er. „Von mir aus sollte man die Mauer wieder aufbauen!“ Zeternd zieht er von dannen – einer von vielen, die sich im Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt in den demokratischen Vorruhestand verabschiedet haben. 2005 gab es hier mit 68 Prozent die bundesweit niedrigste Wahlbeteiligung. Und bei der Europawahl in diesem Jahr lag die Quote bei knapp 40 Prozent, weit über die Hälfte aller Wähler blieb also zu Haus. Und doch ist es auf den Straßen der Kreisstadt Haldensleben mehr als schwierig, einen Nichtwähler zu treffen, der bereit ist, seine Abstinenz zu erklären.

Bei 68% Wahlbeteiligung geht eben doch noch ein großer Teil der Bevölkerung zur Wahl. Und es scheint, als hätten die sich verabredet, um uns das vielfältige demokratische Haldensleben vorzuführen: Der freundliche Vater bei McDonalds, die ältere Dame am Wegesrand, der junge Mann, mit seinem aufgemotzten Auto, sie alle sind überzeugte Wähler, ausgestattet mit den besten Argumenten.

Aber wo sind sie dann, die Nichtwähler in Haldensleben? Warum wählen sie nicht? Und sind sie alle derart stereotyp-ostalgisch wie der Meckeropa mit dem Pudel?

„Ist doch egal, wen ich wähle“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Politik interessiert mich herzlich wenig“, sagt die 18-Jährige Saskia Sperl, als wir sie nicht weit entfernt von den Reihenhäusern des Meckeropas treffen. Eigentlich ist sie die klassische Zielgruppe all der Kampagnen, die Jungwähler dazu bewegen wollen, die Bundestagwahl 2009 als ihr erstes Mal in Sachen aktiver Demokratie zu nutzen. Aber die Partei, die Saskia Sperls Interessen vertritt, müsste wohl noch gegründet werden: „Eine Partei wäre für mich dann wählbar, wenn sie Steuern, Praxisgebühr und hohe Benzinkosten abschaffen würde“, sagt sie. In der Schule hat sie mal ein Referat über die Grünen halten müssen: „Das war nicht so spannend, aber einiges war auch interessant“, erinnert sie sich. Generell ist sie der Meinung, dass sich durch Wahlen „eh nichts ändert. Ob ich wen wähle oder nicht, ist doch ganz egal.“ Für die angehende Bürokauffrau sind andere Sachen wichtiger: Am späten Samstagnachmittag ist sie gerade mit einer Freundin auf dem Weg in eine Eisdiele, am Sonntagmorgen will sie ausschlafen und den freien Tag genießen. Sagt sie und düst mit ihrem kleinen Auto davon.

„Im Grunde keine Wahl“

53 Jahre alt ist der Dachdecker, der am Rand einer malerischen Kleingartenanlage wohnt und gerade in seinem Hof vor sich hin werkelt. Seinen Namen möchte der Mann nicht nennen, auch will er nicht fotografiert werden. Nichtwählen scheint selbst in Haldensleben eine Sache zu sein, die man eher im Verborgenen tut: „Man wird schnell populär heutzutage“, sagt er skeptisch. Er will nicht wählen gehen, weil er der Meinung ist, dass er „im Grunde keine Wahl“ hat. Schließlich haben sich durch die Große Koalition beide Volksparteien einander inhaltlich angenähert; „Wähle ich die CDU, dann habe ich ein Übel, wähle ich SPD, dann habe ich es auch“, sagt er. Aber, betont er immer wieder, er sei kein unpolitischer Mensch, er informiere sich und habe sich seine Enthaltung gründlich überlegt: „Wenn ich am Wahlabend die Ergebnisse ansehe, dann habe ich ein ruhiges Gewissen. Denn egal, wer gewinnt, ich habe damit nichts zu tun.“

Drei große Fragezeichen auf dem Stimmzettel

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Fernab der Schrebergartenidylle der Kreisstadt liegt die Hafenstraße – die Gegend hat in Haldensleben keinen guten Ruf. „Fragen Sie mal bei denen, die sich da hinter der Tankstelle an ihren Bierflaschen festhalten“, hören wir von den vielen engagierten Wählern und machen uns auf den Weg in die Schmuddelecke. Aber die Biertrinker hinter der Tankstelle wollen ihre Ruhe. Oder sie sind gar keine Nichtwähler. „NPD“, sagt einer und grinst. Wenige Schritte entfernt sieht Haldensleben schon wieder ganz anders aus: Im nahegelegenen Jugendclub findet ein Benefizkonzert statt, viele eher alternativ aussehende Jugendliche in Kapuzenpullovern treffen sich hier mit Freunden. Die 28-jährige Kate ist Sozialpädagogin, sie hat die Konzerte im Jugendclub mitorganisiert. „Ich sehe in dieser Parteienlandschaft für mich keine Alternative“, sagt sie. Daher will sie „drei große Fragezeichen“ auf ihren Stimmzettel malen und ihn so ungültig machen. „Aber meine Stimme wird so schon gezählt und kommt nicht der NPD oder irgendeiner radikalen Partei zugute“, erklärt sie. Kate geht also zur Wahl, aber nur, um ihrem Protest gegen die vorhandenen Wahlmöglichkeiten Ausdruck zu verleihen. In den letzten Jahren hat Kate an den Wahlen teilgenommen: „Irgendwann in meinem Leben werde ich schon mal wieder wählen gehen“, sagt sie. In diesem Jahr aber ist sie nur indirekt dabei.

Nicht wählen, weil unterwegs

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

„Wir sind zu Besuch bei unseren Schwiegereltern“, sagen B. Sonnabend und G. Bertram. Wir treffen das junge Paar (23 und 20 Jahre alt) mit ihrem neun Wochen alten Sohn vor einem Altersheim im Stadtteil Alt-Haldensleben, wo die Stadt langsam in die sanften Hügel der Bördelandschaft übergeht. Die beiden stammen aus Lehrte bei Hannover und können nicht wählen gehen, weil sie unterwegs sind. „Wir haben zwar die Unterlagen zur Briefwahl bekommen, aber ich habe die weggeworfen“, sagt B. Sonnabend – es habe eben niemand gewusst, fügt die junge Frau hinzu, dass sie ausgerechnet am 27. September nach Haldensleben fahren würden. Sonst wären sie mit Sicherheit zur Wahl gegangen. „Immerhin“, sagt G. Bertram, „die Schwiegereltern sind gerade unterwegs zum Wahllokal.“

„Politiker sind scheiße“

Foto: Jörn Neumann

Foto: Jörn Neumann

Vado Manuel darf an der Wahl gar nicht teilnehmen: Er hat keinen deutschen Pass. Wir treffen den 18-Jährigen vor dem Lidl im Industriegebiet von Haldensleben. Vado Manuel wartet hier mit seinem 17-jährigen Cousin, die beiden telefonieren, albern herum und verbreiten mit ihren weiten Baseball-Klamotten etwas Hip-Hop-Flair auf dem öden Parkplatz. „Politik sollte sich dafür einsetzen, dass auch Ausländer die gleichen Rechte haben wie Deutsche“, sagt Vado Manuel. Seit 16 Jahren wohnt Vado Manuel in Deutschland und hat noch immer keinen deutschen Pass, obwohl er zu seiner afrikanischen Heimat viel weniger Bezug hat als zu Deutschland. Zur Zeit macht er eine Ausbildung zum Koch – die Lehre macht Spaß, sagt er. Selbst wenn er an der Bundestagswahl teilnehmen könnte, würde er aber nicht mehr wählen gehen: „Politiker sind scheiße“, sagt er: „Die machen Versprechen, die sie nicht halten.“ Er hat lange gehofft, dass ihm die Politik einen Pass verschaffen würde. Nun würde er aber nicht mehr wählen gehen, selbst wenn er dürfte. Das erste Mal Demokratie fällt für ihn auf jeden Fall aus.

 

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