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Friede, Freude, Wahlsieg

13.09.2009 14:21, Lena Gürtler, Ute Zauft
Foto: Milos Djuric

Foto: Milos Djuric

OSNABRÜCK. Krieg oder Frieden – ein hoch emotionales Thema, das nicht zum ersten Mal über Wahlsieg oder –niederlage entscheiden könnte. Nach der Linken versucht nun auch die SPD, mit ihrem Afghanistan-Papier ihr Friedensprofil zu schärfen. Nagelprobe für die Friedensrhetorik der Wahlkämpfer: Ein Besuch in der Hochburg der Friedensbewegung im niedersächsischen Osnabrück.

Eine Collage aus Zeitungsausschnitten: Schlagzeilen über Deutschland im WM-Fieber neben Bildern von ausgebombten Häusern im Libanon. Darüber legt sich ein halbtransparentes Muster aus Rottönen – erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es Gefangene in Guantanamo sind. Sylvia Lüdtke thematisiert in ihren Bildern die Gleichzeitigkeit von Krieg und Frieden. “Ein tiefes Friedenssehnen” treibt die Künstlerin an. Eine Sehnsucht, die sie mit einer ganzen Stadt teilt: In Osnabrück wurde 1648 der Dreißigjährige Krieg mit dem westfälischen Frieden beendet. Bis heute steht auf dem gelben Schild am Ortseingang “Friedensstadt.”

Allein 43 Organisationen beschäftigen sich in Osnabrück mit dem Thema Frieden. Zusammen mit ihren Kindern geht Sylvia Lüdtke auf die regelmäßigen Friedensdemos in der Stadt, protestiert dabei auch gegen einen Krieg, der in Deutschland offiziell nicht so genannt werden darf. Die deutschen Truppen in Afghanistan sind auf “Friedensmission”. Ein Thema, das die Osnabrücker umtreibt, gerade auch im Wahlkampf. An einer Autobahnabfahrt hat jemand quer über den FDP-Slogan “Raus aus Afghanistan” geklebt. Nicht unbedingt eine Forderung der Liberalen. Der Spruch klingt sehr nach der Linken. Die versuchen schon lange, mit dem Krieg am Hindukusch Wahlkampf zu machen.

Die anderen Parteien geraten in Zugzwang, müssen Position zu Afghanistan beziehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Frage um Krieg und Frieden die Wahl mitentscheidet: 2002 hat sich Gerhard Schröder durch sein “Nein” zu deutschen Truppen im Irak noch einmal auf den Kanzlersessel gerettet. In diesem Wahlkampf also Afghanistan, mit einem Unterschied: Deutsche Soldaten sind schon da, die Positionierung der Parteien wird dadurch ungleich schwieriger, ein Samthandschuh-Thema für die Parteien.

Anders die Osnabrücker. Sie suchen die Auseinandersetzung mit dem Thema. “Das Friedensthema ist ansteckend, Osnabrück ist ein friedensbewegter Ort”, sagt der Politikwissenschaftler Roland Czada. Er ist Professor an der Osnabrücker Universität und Leiter der Osnabrücker Friedensgespräche. Diese Veranstaltungen seien immer voll, in anderen Städten habe er das bei ähnlichen Themen ganz anders erlebt. Kürzlich hatte Friedensforscher Czada zu einer Diskussion über den Truppeneinsatz in Afghanistan geladen: “Das Thema wurde von den Osnabrückern viel kontroverser diskutiert als von den Parteien: Die fetzten sich wirklich: war es richtig, da reinzugehen oder zwingen wir uns den Afghanen auf?” Nach Meinung des Politikwissenschaftlers hat Steinmeier mit seiner Festlegung auf ein Abzugsdatum ab 2013 das einzig Richtige getan: “Er profiliert sich im Wahlkampf zunehmend auf dem Feld, für das er als Minister zuständig ist: die Außenpolitik.”

Die CDU hingegen bringe das Thema Afghanistan in die Bredouille, sagt Czada. Ihr Verteidigungsminister ist – wenn er überhaupt mal auftaucht – in Erklärungsnot. Wenn Soldaten tot aus Afghanistan nach Deutschland gebracht und gleichzeitig die Rufe nach Abzug noch lauter werden, darf Franz Josef Jung die Soldaten nicht einmal “Gefallene” nennen. Auf ein Ende des Einsatzes der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan will sich die CDU nicht festlegen. Der Einsatz am Hindukusch taugt für die CDU nicht dazu, Wahlkampf-Punkte in einem Land zu sammeln, in dem mehr als jeder zweite Bürger für einen schnellen Abzug ist.

Foto: Milos Djuric

Foto: Milos Djuric

Die überklebten FDP-Plakate sind eigentlich eine hervorragende Vorlage für die Wahlkampfrede von Guido Westerwelle an diesem Nachmittag in Osnabrück. Die Wahlkampfbühne ist vor dem Rathaus aufgebaut. Hier befindet sich der “Friedensaal”, in dem Katholiken und Protestanten den Dreißigjährigen Krieg beendeten. Überall in der Innenstadt verteilt: Rostrote Installationen, aus denen Apfel-Bäume wachsen. Sie erinnern an die Varus-Schlacht vor 2000 Jahren. Das Thema Krieg wird auch beim FDP-Chef vorkommen: Er spricht über die Abrüstung von Atomwaffen. Die Frage nach dem Truppenabzug aus Afghanistan lässt er geflissentlich beiseite.

“Für die FDP und die Grünen ist das Thema nur begrenzt wahlkampftauglich”, sagt Friedensforscher Czada. Die FDP wolle es sich nicht mit der CDU als mögliche Koalitionspartnerin verderben. Die Grünen wiederum haben als ehemals friedensbewegte Partei, den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan von Anfang an mitgetragen. Nicht selten werden sie von ihren Anhängern dafür angegriffen. Afghanistan ist für die Grünen ein Thema, das sie lieber nicht in die Schlaglichter des Wahlkampfes rücken wollen, so Czada. “Wenn eine Partei mit dem Thema Wählerstimmen holen kann, dann ist es die Linke.” Sie ist grundsätzlich gegen deutsche Soldaten im Ausland und scheint damit den Friedens-Nerv vieler Wähler zu treffen. “Grundsätzlich sehnen sich die meisten Menschen nach Frieden. Damit wird jede Diskussion um Afghanistan auch zu einer emotionalen Gradwanderung”, so der Friedensforscher.

“Ich habe Angst vor Krieg” oder “Wenn alle Herzen gleichzeitig im Takt für den Frieden schlagen würden, dann hätte man ein Erdbeben der Stärke sechs.” Das haben Ausstellungsbesucher in Sylvia Lüdtkes Friedensbücher geschrieben. Die Künstlerin fordert die Betrachter ihrer Bilder auf, ihre Wünsche und Gedanken niederzuschreiben. Das erste Mal hat Lüdtke die Friedensbücher in Osnabrücks türkische Partnerstadt Canakkale ausgestellt. Seitdem füllt sich Buch um Buch. Kunst gegen die eigene Furcht. Lüdtkes Vater ist Offizier: “Ich habe erst spät begriffen, dass mein Vater auch in den Krieg ziehen könnte. Das hat mir Angst gemacht.” Einen schnellen Abzug der Truppen aus Afghanistan hält sie trotzdem für zu riskant. “Abzug bedeutet noch kein Frieden.”

Ein Argument, um das auch die Linke im Wahlkampf eigentlich nicht herumkommen dürfte. Nur einen Tag nach Westerwelle hält Gregor Gysi vor dem Osnabrücker Rathaus eine Wahlkampfrede. Im Gegensatz zu seinem FDP-Widersacher fordert er vehement den Truppenabzug aus Afghanistan: Durch Kriegseinsätze könne man keinen Frieden schaffen. Applaus. Gysi und seine Partei sind die einzigen, die den Bundeswehreinsatz in Afghanistan als Krieg bezeichnen. Glück für ihre Wahlkampfstrategie: Denn nur wer von Krieg spricht, kann von Frieden reden und damit Wähler locken.

 

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