RSS Feed

Kooperationspartner

Das mobile Journalistenbüro
auf Deutschlandreise

Tagebuch: Das immobile Journalistenbüro

26.08.2009 21:20, Lu Yen Roloff
tagebuch_26092009

Foto: Milos Djuric

Die gute Nachricht zuerst: Wir haben das Beste aus dem Tag gemacht. Eigentlich sollte es heute morgen nur ein Kaffee sein, die Kaffeemaschine lag aber noch im Auto. Also hin durch den feuchten Morgen, alles gefunden, ach ja, das Vitamin C liegt noch in der anderen Autotür, Tür zu, und dann: Zwei Autoschlüssel liegen auf dem Autositz, vom topdiebstahlgesicherten BMW automobilclubsicher eingeschlossen. Ein Kurier muss aus München einen zweiten Autoschlüssel bringen, wir hängen auf dem Campingplatz Klausenhorn 15 km außerhalb von Konstanz fest – und der Wahlfahrt09-Wagen bleibt heute zwangsweise zu.

Die Wahlfahrt09 ist aber flexibel, so wie freie Journalisten eben sind, und hat sich für den Tag an die Bierbänke zwischen die Zelte gesetzt und arbeitet jetzt um zwanzig nach sechs immer noch. Angesichts des aktuellen Aufhängers wollen wir jedoch gerne einige exemplarische Situationen schildern, die vielleicht auch erklären können, wieso wir bislang noch kein einziges Mal aus der Stadt berichtet haben, in der wir uns aufhalten.

Gestern morgen: Die Wahlfahrt09 hatte sich am Abend zuvor eine disziplinierte Aufstehzeit von halb 8 gesetzt, wurde dann aber nicht durch Übermüdung durch nächtlich schreiende Kindes/betrunkene Teenies/Reissverschlüsse/schnarchende Nachbarn, sondern durch banalen, heftigen Regen an der Konferenz vorm Zelt gehindert. Zog also mit Sack und Pack an einen durchnässten Tisch im Hauptzelt am anderen Ende des Campingplatzes um, wartete brav auf den Platz, den andere erst machen mussten und begann dann zu frühstücken.

In der letzten Woche hat es auch andere wetterbedingte traurige Szenen gegeben: Etwa, wenn am Bauwagen kein Gaffa-Tape fürs Banner halten wollte, weil die Wand nass war – so dass unsere Mitglieder mit Küchentüchern kleine Flecken trocken rieben, damit die Repräsentativität unseres Projektes zumindest im Ansatz gewahrt bleiben konnte. Im feuchten Wind unter einem neu angeschafften Pavillonzelt tippten wir dann, in unsere Wahlfahrt-Jacken gemummelt, unsere Texte. Das war dann auch nicht besser als die über 30 Grad in der prallen Sonne, die in Hof, Halle oder Eisenhüttenstadt den Bauwagen aufheizten und die Hirne lähmte.

Am Wagen sitzt die Wahlfahrt09 auf dem Präsentierteller. Immer wieder kommen also Passanten und fragen, was wir tun oder wo der nächste Kaufhof ist. An anderer Stelle war bereits die Rede davon, dass sie Dokumente und Informationen vorbeibringen. Dann gibt es aber noch die Anderen, die kommen, weil sie unsere Rechner kaufen wollen, unsere Milch trinken, unsere nicht vorhandenen Wahlflyer lesen, einen Kugelschreiber geschenkt haben wollen oder uns mit einer Partei verwechseln. Manche finden auch unsere Armbanduhren schön und wollen sie auch gerne anfassen. Manchmal wird aus der Wahlfahrt09 unversehens auch ein themenfremdes Kummerkastenbüro, wenn auf eine erste Nachfrage hin persönliche Schicksale offenbart werden. Wir haben kein Herz aus Stein, deswegen hören wir stets aufmerksam zu und bemühen uns aufrichtig um die Anerkennung noch so abseitiger Positionen. Ein Ende zu finden ist aus Gründen der Höflichkeit oft schwer.

Herzzerreissende Szenen spielten sich z.B. in Hof ab, als eifrige Wahlfahrtler die verlorene Zeit aufholen wollten und bis in die Nacht bei Kerzenschein auf Zäunen und klammen Decken vor ihren Laptops kauerten, anstatt bei Rotwein Sternschnuppen zu gucken.

Egal ob morgen, mittags oder abends – immer wieder wird die Wahlfahrt von Zeitlöchern geschluckt. Etwa weil die Kamera in einem Wagen, der Kaffeemacher in einem anderen, der Schlüssel zum Wagen in einer Tasche, die Tasche in einem Zelt, die Person zum Zelt aber beim Duschen ist und deren Handyakku aus ist, weil die Kabeltrommel wiederum im Bauwagen ist und der Schlüssel dazu im anderen Wagen, dessen Besitzer wiederum gerade auf Toilette musste, die Toilette aber ein paar Minuten weg im zweiten Stock von Karstadt liegt. Oder so. „Ich suche…“ hat sich folgerichtig bereits zum geflügelten Wort entwickelt.

Und das nicht nur analog, sondern auch digital. Immer wieder suchen die Wahlfahrtler nach schnellen Lösungen für kleine Bugs – ein normaler Prozess auf einer neuen Internetseite, der glücklicherweise von unserem Programmierer Till stets zeitnah begleitet wird – auch am Wochenende und des Nachts. Wenn denn das mobile Internet mitspielt, das uns immer wieder zähe Minuten beschert.

Übrigens: Kaum hat aber jemand rausgefunden, wann was wo ist oder wie geht oder wie das Banner am Wagen richtig hängen bleibt, muss er wieder abreisen und der nächste Neue schlägt mit dickem Rucksack bei uns auf und starrt uns mit undurchdringlicher Miene einen Tag lang an. Erfahrene Wahlfahrt-Mitglieder lächeln dann ermutigend und kreuzen die Finger hinterm Rücken, wenn sie versprechen: Morgen wird das Wetter wieder besser – Wir räumen bald mal wieder auf – Ich redigier Deinen Text gleich, nachdem ich noch…

Ach ja. Die Leberwurst wurde auch seit zwei Tagen nicht gekühlt. Sollte die Wahlfahrt also morgen mit Salmonellen niederliegen, verzeiht uns auch das.

 

Mit Dank an unsere Sponsoren:

 
© WAHLFAHRT09 | Alle Rechte vorbehalten. Impressum Kontakt